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Betreuungsrecht: Vor der Fixierung eines Betreuten muss eine richterliche Genehmigung eingeholt werden

Bundesgerichtshof, 27.06.2012, Az.: XII ZB 24/12

Die 1922 geborene Betroffene erteilte ihrem Sohn und ihrer Tochter, den Beteiligten zu 1 und 2, am 11. September 2000 notarielle Vollmacht,

“mich soweit gesetzlich zulässig, in allen persönlichen Angelegenheiten, auch soweit sie meine Gesundheit betreffen, sowie in allen Vermögens-, Steuer- und sonstigen Rechtsangelegenheiten in jeder denkbaren Hinsicht zu vertreten und Entscheidungen für mich und an meiner Stelle ohne Einschaltung des Vormundschaftsgerichts zu treffen und diese auszuführen bzw. zu vollziehen (General- und Vorsorgevollmacht).” 1 Weiter ist in § 3 der Vollmacht unter der Überschrift “Unterbringung” geregelt:

“Die Vollmacht berechtigt dazu, meinen Aufenthalt zu bestimmen. Die Generalvollmacht umfasst auch die Befugnis zu Unterbringungsmaßnahmen im Sinne von § 1906BGB, insbesondere zu einer Unterbringung, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, zur sonstigen Unterbringung in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung sowie zur Vornahme von sonstigen Freiheitsentziehungsmaßnahmen durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente o.a. auch über einen längeren Zeitraum.”

In Ausübung der Vollmacht hat der Sohn eingewilligt, Bettgitter am Bett der Betroffenen anzubringen und sie tagsüber im Stuhl mittels eines Beckengurts zu fixieren, nachdem die Betroffene mehrfach gestürzt war und sich dabei auch einen Kieferbruch zugezogen hatte.

Auf Anregung des Sohns hat das Betreuungsgericht die Einwilligung befristet genehmigt. Hiergegen hat der Sohn im eigenen Namen und im Namen der Betroffenen Beschwerde eingelegt, mit der er rügt, dass eine betreuungsgerichtliche Genehmigung der Einwilligung aufgrund der ihm umfassend erteilten Vollmacht entbehrlich sei und die Betroffene durch die Durchführung des – auch mit Kosten verbundenen – Genehmigungsverfahrens in ihrem grundrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht verletzt werde. Das Landgericht hat die Beschwerden zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die Betroffene und der Sohn mit ihren Rechtsbeschwerden.

II.

Die zulässigen Rechtsbeschwerden sind in der Sache nicht begründet.

1. Die Rechtsbeschwerden sind zulässig erhoben. Gemäß § 70Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG ist die Rechtsbeschwerde in Unterbringungssachen ohne Zulassung statthaft. Zu den Unterbringungssachen gehört gemäß § 312Nr. 2 FamFG auch die Genehmigung einer unterbringungsähnlichen Maßnahme nach § 1906Abs. 4 BGB. Dies umfasst auch die nach § 1906 Abs. 5 BGB in Verbindung mit Absatz 4 der Vorschrift zu erteilende Genehmigung der durch einen Bevollmächtigten zu ergreifenden unterbringungsähnlichen Maßnahme.

2. Das Landgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Durch die General- und Vorsorgevollmacht vom 11. September 2000 habe die Betroffene nicht auf das betreuungsgerichtliche Verfahren zur Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen verzichtet. Die Regelung des § 1906 Abs. 2 BGB, auf die § 1906 Abs. 4 BGB Bezug nehme, konkretisiere die Verfahrensgarantie des Art. 104 Abs. 2 GG. Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung habe danach ein Richter zu entscheiden. Dieser formale Schutz der Freiheit könne nicht durch rechtsgeschäftliche Erklärung eines Betroffenen aufgegeben werden. Es könne auch nicht angenommen werden, dass mit der notariellen General- und Vorsorgevollmacht auf diesen Schutz verzichtet werden sollte. Vermieden werden sollte durch die Vollmacht nur die Einrichtung einer Betreuung.

Die materiellen Voraussetzungen für die Genehmigung der freiheitsentziehenden Maßnahmen seien gegeben.

3. Die angegriffene Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer rechtlichen Überprüfung und den Angriffen der Rechtsbeschwerden stand. 5 a) Gemäß § 1906 Abs. 4 BGB gelten die Vorschriften über die Unterbringung eines Betreuten (Absätze 1 bis 3 der Vorschrift) entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll. Diese Regelung schützt – ebenso wie Absatz 1 bis 3 der Vorschrift – die körperliche Bewegungsfreiheit und die Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsfreiheit (BGHZ 145, 297, 301 f. = FamRZ 2001,149, 150). Das Anbringen von Bettgittern sowie die Fixierung im Stuhl mittels eines Beckengurts stellen freiheitsentziehende Maßnahmen in diesem Sinne dar, wenn der Betroffene durch sie in seiner körperlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird. Dieses ist jedenfalls dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Betroffene zu willensgesteuerten Aufenthaltsveränderungen in der Lage wäre, an denen er durch die Maßnahme über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig gehindert wird (vgl. OLG Hamm FamRZ 1993, 1490; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1906 Rn. 39). Hiervon ist bei einem Beckengurt regelmäßig und bei einem Bettgitter zumindest dann auszugehen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Betroffene in der Lage wäre, das Bett durch seinen natürlichen Willen gesteuert zu verlassen.

Im vorliegenden Fall sind die Merkmale freiheitsentziehender Maßnahmen erfüllt, da die Betroffene nach Angaben des Pflegepersonals noch in der Lage ist, selbständig sowohl aus dem Bett als auch aus dem Stuhl aufzustehen.

b) Gemäß § 1906 Abs. 5 Satz 1 BGB sind die Unterbringung und die Einwilligung in freiheitsentziehende Maßnahmen durch einen Bevollmächtigten zulässig, wenn die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die genannten Maßnahmen ausdrücklich umfasst. Für den Fall ordnet § 1906 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. 10 Abs. 4 BGB an, dass Absatz 2 der Vorschrift entsprechend gilt. Darin ist bestimmt, dass die Maßnahme nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig ist.

c) Auf die durch diese Vorschrift angeordnete gerichtliche Überprüfung der durch den Bevollmächtigten erteilten Einwilligung kann der Betroffene nicht vorgreifend verzichten (Walter FamRZ 1999, 685, 691; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1906 Rn. 119; Erman/Roth BGB 13. Aufl. § 1906 Rn. 63). Das folgt aus der Natur des Überprüfungsgegenstands.

Der Genehmigungsvorbehalt des § 1906 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 BGB dient dem Schutz des Betroffenen. Einerseits sah der Gesetzgeber in der Regelung eine Stärkung der Fähigkeit des Betroffenen, in voller geistiger Klarheit durch die Vorsorgevollmacht über sein künftiges Wohl und Wehe entscheiden zu können. Andererseits wollte der Gesetzgeber sichergestellt wissen, dass einschneidende Maßnahmen, in die der Bevollmächtigte einwilligt, vom Vormundschaftsgericht kontrolliert werden (vgl. BT-Drucks. 13/7158 S. 34).

Das Betreuungsgericht hat daher – zum Schutz des Betroffenen – nicht nur zu überprüfen, ob die Vorsorgevollmacht rechtswirksam erteilt ist, ob sie die Einwilligung in freiheitsentziehende Maßnahmen umfasst und auch nicht zwischenzeitlich widerrufen ist, sondern insbesondere, ob die Vollmacht dadurch in Kraft gesetzt ist, dass eine Gefährdungslage nach § 1906 Abs. 1 BGB vorliegt. Unter die Kontrolle des Betreuungsgerichts ist damit nicht die in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts erfolgte Entscheidung des Betroffenen gestellt, sondern die gesetzesgemäße Handhabung der Vorsorgevollmacht durch den Bevollmächtigten. Damit soll sichergestellt werden, dass die Vorsorgevollmacht im Sinne des Betroffenen ausgeübt wird. Diese Kontrolle dient der Sicherung des 13

– in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts – artikulierten Willens des Betroffenen (BVerfG FamRZ 2009, 945, 947).

d) Zwar stellt die unverzichtbare gerichtliche Kontrolle zugleich eine Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen dar, indem ihm die Möglichkeit genommen wird, eine Vorsorgevollmacht über freiheitsentziehende Maßnahmen frei von gerichtlicher Kontrolle zu erteilen. Diese Beschränkung ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht schrankenlos, sondern nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung. Diese sieht ein Genehmigungsverfahren nach § 1906 Abs. 2 BGB zwingend vor, dessen Verhältnismäßigkeit angesichts der möglichen Tragweite freiheitsentziehender Maßnahmen außer Zweifel steht. 16 e) Gegen das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für die Genehmigung der freiheitsentziehenden Maßnahme haben die Rechtsbeschwerden nichts erinnert. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist die angegriffene Entscheidung auch insoweit aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Quelle: Bundesgerichtshof