OLG Celle, Urteil vom 7.1.2021, 6 U 22/20
Zusammenfassung des Urteils
Das Urteil betrifft den Fall des verstorbenen Herrn K. R. H. W. V., der im Jahr 2012 ohne eigene Nachkommen und ohne Ehepartner verstarb. Die zentrale Frage des Falls dreht sich um die Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung eines Testaments im Mai 2005, das von der Beklagten zu 1 (der rechtlichen Betreuerin des Erblassers) initiiert und von einem Notar beurkundet wurde. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Erblasser aufgrund seines Gesundheitszustands nicht in der Lage war, ein Testament zu verfassen. Zudem stellte das Gericht fest, dass das Testament sittenwidrig war, da es unter unzulässigem Einfluss der Beklagten entstanden sei.
Gesundheitszustand des Erblassers
Im Dezember 2004 erlitt der Erblasser einen schweren Hirninfarkt, der zu einer dauerhaften Beeinträchtigung seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten führte. Dies äußerte sich in einer Verwirrtheit, Orientierungslosigkeit sowie einer teilweisen Lähmung und Störung des Kurzzeitgedächtnisses. Die medizinischen Berichte, die zu Beginn des Betreuungsverfahrens erstellt wurden, diagnostizierten ein ausgeprägtes hirnorganisches Psychosyndrom mit erheblichen Gedächtnisstörungen. Aufgrund dieses Zustands wurde eine gesetzliche Betreuung eingerichtet, die durch die Beklagte zu 1 übernommen wurde.
Errichtung des Testaments
Am 4. Mai 2005, nur wenige Monate nach dem Hirninfarkt, wurde das Testament des Erblassers in Anwesenheit der Beklagten zu 1 erstellt. Die Notarin beurkundete das Testament, in dem die Beklagte zu 1 und eine weitere Person, der Beklagte zu 2, zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt wurden. Es wurde jedoch keine unabhängige ärztliche Bestätigung der Testierfähigkeit des Erblassers zu diesem Zeitpunkt eingeholt, obwohl der Erblasser sich zu diesem Zeitpunkt in einem pflegebedürftigen Zustand auf einer gerontopsychiatrischen Pflegestation befand.
Zweifel an der Testierfähigkeit
Die medizinischen Gutachten, die im Laufe des Verfahrens erstellt wurden, kamen zu dem Schluss, dass der Erblasser am Tag der Testamentserrichtung nicht testierfähig war. Ein neurologisches Gutachten zeigte, dass der Erblasser aufgrund der Folgen seines Hirninfarkts nicht in der Lage war, die Tragweite seiner Entscheidungen zu verstehen. Auch mehrere Zeugen, darunter Ärzte, die den Erblasser in den Monaten vor und nach der Testamentserrichtung betreuten, bestätigten, dass der Erblasser aufgrund seiner geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage war, ein Testament zu verfassen, das den rechtlichen Anforderungen entspricht.
Sittenwidrigkeit des Testaments
Das Gericht stellte fest, dass das Testament nicht nur wegen der Testierunfähigkeit unwirksam war, sondern auch wegen seiner Sittenwidrigkeit. Die Beklagte zu 1, die als rechtliche Betreuerin des Erblassers eine besondere Vertrauensstellung innehatte, habe ihre Position ausgenutzt, um sich selbst als Erbin einzusetzen. Dies geschah unter Missachtung des Schutzes des Erblassers, der sich in einem schwachen, hilflosen Zustand befand und auf die Unterstützung der Beklagten angewiesen war. Auch der Beklagte zu 2, der über die Beklagte zu 1 Kontakt zum Erblasser hatte, profitierte von dem Testament, obwohl es keine enge persönliche Beziehung zwischen ihm und dem Erblasser gab.
Gerichtliche Entscheidungen
Das Amtsgericht Hannover wies den Antrag auf einen Erbschein, der auf Grundlage des Testaments vom 4. Mai 2005 gestellt worden war, zurück. Auch die darauf folgende Beschwerde der Beklagten wurde abgelehnt. In seiner Begründung hob das Gericht hervor, dass es keinen nachvollziehbaren Grund für die Einsetzung der Beklagten als Erben gab und dass der Erblasser offensichtlich nicht in der Lage war, die Folgen seiner Entscheidung zu überblicken. Auch das Landgericht wies in seinem Urteil die Klage der Beklagten ab und stellte fest, dass sowohl die Testierunfähigkeit als auch die Sittenwidrigkeit des Testaments hinreichend nachgewiesen seien.
Schlussfolgerung
Das Urteil zeigt die Bedeutung der Testierfähigkeit und den Schutz hilfsbedürftiger Menschen vor der Ausnutzung durch Personen, die in einer Vertrauensposition stehen. Es verdeutlicht, dass Testamente, die unter fragwürdigen Umständen errichtet werden, sowohl wegen der Testierunfähigkeit des Erblassers als auch wegen der Sittenwidrigkeit unwirksam sein können. In diesem Fall war die Beklagte zu 1 als Berufsbetreuerin nicht nur verpflichtet, im besten Interesse des Erblassers zu handeln, sondern auch sicherzustellen, dass der Erblasser bei wichtigen Entscheidungen wie der Testamentserrichtung in vollem Umfang handlungsfähig war. Da dies nicht der Fall war, wurde das Testament als ungültig erklärt und die Beklagten verloren ihren Anspruch auf das Erbe.
Quelle: OLG Celle